Samstag, 4. Dezember 2010

Paris Marathon 2010 - Ende und Neubeginn

Es war eine Herausforderung - sowohl physisch als auch psychisch. Der Paris-Marathon 2010 war in vielerlei Hinsicht etwas ganz Besonderns, zumindest für mich persönlich. 



Im September 2009 beschlossen mein damaliger Mitbewohner und ich, am Paris-Marathon 2010 teilzunehmen, der am 11. April stattfinden sollte. Ein gutes halbes Jahr also, um nicht nur ca. 10 Kilogramm  Übergewicht loszuwerden, sondern auch um aus einer konditionell katastrophalen Ausgangssituation eine Basis für einen 42 Kilometer langen Lauf zu formen. Der erste und, wie ich anfangs dachte, schwerste Schritt auf dem Weg zum erfolgreichen Bestreiten des Marathons, war das sofortige Einstellen jeglichen Nikotinkonsums. Die ersten Tage waren zwar extrem hart - vor allem für meine Mitmenschen, da ich äußerst gereizt und unkonzentriert war - aber alles in allem fiel mir der "Entzug" leichter, als ich es mir anfangs vorgestellt hatte. Nichtsdestotrotz machten sich die zahllosen Zigaretten, die ich in den Jahren zuvor geraucht hatte, am ersten Trainingstag stark bemerkbar. Ich war nicht in der Lage 1,2 Kilometer am Stück zu joggen (die Distanz unserer damaligen Trainingsstrecke betrug 600 Meter), was mich, auch aufgrund der vorher im Internet studierten Trainingspläne, sehr am erfolgreichen Bestreiten des Marathons zweifeln ließ - vor allem, weil mein Trainingspartner diese Distanz scheinbar spielerisch bewältigte. Nach ungefähr 800 Metern (2 Runden um einen Sportplatz) spürte ich einen Druck auf der Lunge, der es mir unmöglich machte Luft zu holen. Dieses Gefühl eines Drucks auf der Lunge legte sich innerhalb der nächsten drei Wochen allerdings und ich konnte mit einem relativ lockeren Training beginnen. In der ersten Zeit des Trainings lief ich 4 Mal pro Woche zwischen 600 und 1200 Metern - eine äußerst kurze Distanz, die aber durch ihre Regelmäßigkeit dazu beitrug, dass der Druck auf der Lunge nach und nach verschwand und ich langsam aber sicher größere Distanzen ins Visier nehmen konnte. Bis Mitte Dezember hielt ich mein Training gut durch und war bald auf dem gleichen Trainingsstand meines Laufpartners - wir liefen zu dieser Zeit ohne größere muskuläre oder konditionelle Probleme zwischen 10 und 15 Kilometer in einer bis anderthalb Stunden. Gleichzeitig änderten wir unsere Trainingsroute - sie betrug nun gute 4 Kilometer pro Runde.
Während der Winterferien allerdings gab es einen dramatischen Einbruch. Aufgrund der im Freien herrschenden Temperaturen, beschloss ich, mein Training während der Ferien auf einem Ergometer fortzusetzen, was ein großer Fehler war. Es werden bei dieser Art des Trainings nicht nur die "falschen" Muskeln trainiert, auch der Konditionsgewinn ist bedeutend niedriger als beim eigentlichen Joggen. Zusätzlich dazu rauchte ich auf einer Silvesterfeier auch noch eine Zigarre, was mich kurzzeitig "rückfällig" werden ließ - für ungefähr eine Woche war ich wieder Raucher. Folglich war das erste gemeinsame Training mit meinem Laufpartner nach einem Monat "Winterpause" ein absoluter Reinfall. Es fiel mir sehr schwer, auch nur 10 Kilometer am Stück zu meistern, was mich erneut am erfolgreichen Bestreiten des Marathons zweifeln ließ. Das Rauchen und unzureichende Training während der Ferien hatten mich um Wochen zurückgeworfen.
Meine unzureichende konditionelle Verfassung führte schließlich dazu, dass mein Laufpartner und ich ab Anfang Februar getrennt voneinander trainierten, da er auf einem deutlich höheren Level war als ich und es einfach keinen Sinn mehr ergab gemeinsam zu laufen. Meine Entschlossenheit, den Marathon erfolgreich zu bestreiten, wurde dadurch allerdings noch bestärkt, weshalb ich ab diesem Zeitpunkt sehr hart trainierte und innerhalb von 5 Wochen auf einen Trainingsstand kam, der es mir ermöglichte, 25 Kilometer am Stück zu laufen - wenn auch in einer miserablen Zeit von über 3 Stunden. Zu dieser Zeit lief ich im Schnitt 3 Mal pro Woche 15 Kilometer, anfangs jedoch noch mit Phasen, in denen ich für 1-2 Minuten ging anstatt zu laufen. Dieses Training führte schließlich dazu, dass ich Mitte März das erste Mal die Distanz von 38 Kilometern am Stück bewältigen konnte. Dieser Lauf allerdings führte dazu, dass ich über eine Woche lang nicht in der Lage war, auch nur einen Kilometer zu laufen. Der Muskelkater war schier überwältigend. Zu Beginn des Marathon-Monats April lief ich noch einmal 20 Kilometer am Stück, um meinem Körper danach eine Regenerationszeit von einer Woche zu gönnen. Der Paris-Marathon stand unmittelbar bevor und ich war kein einziges Mal die Distanz von 42 Kilometern gelaufen. Gute Vorzeichen...

Kurz vor dem Start, Marathon de Paris 2010
Ungefähr zwei Monate vor Beginn des Marathons wurde mein Trainingspartner am Knie operiert und seine Teilnahme war mehr als fraglich; zwar lief er eine Woche vor dem Marathon eine Strecke von 20 Kilometern beschwerdefrei, doch war diese Leistung nicht wirklich aussagekräftig, da das Knie jederzeit nachgeben konnte und seine Kondition unter der trainingsfreien Regenerationszeit stark gelitten hatte. Nichtsdestotrotz gingen wir beide am 11.4.2010 um 8 Uhr 45 an den Start - die Startgebühren waren schließlich bezahlt!
Der Paris-Marathon beginnt am Arc de Triomphe und führt zu Beginn über die Champs Élysées Richtung Bois de Vincennes. Die Strecke führt die Läufer vor allem rechts der Seine durch Paris, am Ende jedoch erreicht man den Bois de Boulogne, von dem man wiederum auf den Arc de Triomphe zuläuft und seine Runde beendet. Eine sehr ebene und kurvenlose Strecke. Bis auf ein kleines Stück...
Bis Kilometer 21 war die Strecke überhaupt kein Problem. Ich lief, wahrscheinlich auch durch die vielen Mitläufer und Menschen am Streckenrand angespornt, diese erste Hälfte des Marathons ohne größere Probleme. Weder machten sich meine Muskeln bemerkbar, noch hatte ich konditionelle Probleme, was mich zu Beginn selbst überraschte - ich hatte mit deutlich mehr Problemen gerechnet und versuchte sogar meinen Laufpartner dazu anzuspornen, die Strecke unter 4h 30 zu meistern, was unsere eigentliche Zielzeit war. Ab Kilometer 18 (am Streckenrand wurde jeder volle Kilometer angezeigt) bemerkte ich jedoch ein deutliches Nachlassen der Kräfte meines Laufpartners, was kurz nach der 21 Kilometer Marke dazu führte, dass wir uns trennten - ein großer Fehler. Während er für einige Zeit gehen wollte, war ich der Meinung, dass eine Pause mich aus dem Rhytmus bringen würde und mir den Wiedereinstieg ins Laufen unmöglich machen würde. Ich lief also ohne meinen Laufpartner weiter, von dem ich überzeugt war, dass er aufgeben würde, und kam die nächsten 2 Kilometer auch noch gut vorran, bis ich auf die 23 Kilometer Marke stieß. Ab hier verlief die Strecke parallel zur Seine und bot vier mehr oder minder steile Gefälle, bzw. Steigungen. Insbesondere die dritte dieser Steigungen, die sich über mehrere hundert Meter erstreckte, machte mir sehr zu schaffen, weshalb ich an diesem Punkt der Strecke das erste Mal ein Stück weit ging. Als ich bemerkte, dass es mit dem Weiterlaufen äußerst schwierig werden würde, beschloss ich darauf zu warten, dass mein Laufpartner mich einholte, was auch bei Kilometer 29 geschah - er war noch dabei! Ich war über dieses Wiedertreffen sehr erleichtert, da es zu zweit deutlich einfacher wird, einen Marathon zu bestreiten. Ohne dieses Wiedertreffen hätte ich vermutlich frühzeitig aufgegeben. Die nächsten 3 Kilometer liefen wir noch durchgehend, während unsere Kräfte zusehends schwanden - wir waren zu schnell gestartet und hatten uns zu lange Pausen gegönnt, was sich nun brutal rächte. Ab Kilometer 32 begannen wir, große Stücke der Strecke zu gehen, weil uns das Laufen durch unsere muskulären Probleme auf das Äußerste erschwert wurde. Nun hatten wir im Vorfeld des Marathons von dem sogenannten "Besenwagen" gehört, der jeden einsammelte, der zur geforderten Zeit noch nicht im Ziel angekommen war. Der Paris-Marathon ist für 5h 40 geöffnet und jeder Teilnehmer, der nach dieser Zeitforderung ins Ziel kommt,  wird disqualifiziert. Wir wollten nicht zu diesen Läufern gehören und gaben daher unser Bestes, um noch einige Teile der Reststrecke ohne Pause laufen zu können. Die letzten 7 Kilometer jedoch waren die größte physische (und gewissermaßen auch psychische) Herausforderung meines Lebens. Wir wussten, dass wir nur noch sehr wenig Zeit hatten, um das Ziel ohne Disqualifikation zu erreichen und versuchten daher, trotz extremer körperlicher Schmerzen, den Arc de Triomphe unter dem Zeitlimit zu erreichen. Die letzten 2 Kilometer waren wir schon nicht mehr dazu in der Lage, auch nur ein Wort miteinander zu wechseln, aber dennoch gelang es uns sogar mit einem Schlussspurt über 200 Meter und 10 Minuten unter der geforderten Zeit, ins Ziel einzulaufen. Selten in meinem Leben habe ich so eine Erleichterung gefühlt, wie in diesem Moment. 
Auch wenn es bei miserablem Trainingsstand einiges an Training braucht, um einen Marathon zu bestreiten und man ca. 2 Wochen danach noch Schwierigkeiten beim Aufstehen hat, lohnt es sich dennoch, diese Erfahrung einmal im Leben gemacht zu haben. Das Training an sich ist schon eine Herausforderung, doch durch den Zieleinlauf wird man auf jeden Fall um das vielfache entschädigt - auch auf die Gefahr hin, ein Wiederholungstäter zu werden; denn wer einen Marathon läuft, der läuft auch einen zweiten...

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